Lieblingsplätze
Die historische Altstadt Lüneburg bietet Bewohner*innen und Tourist*innen kaum Orte an denen sie sich aufhalten können ohne etwas konsumieren zu müssen. Das änderte sich mit dem Experiment „Lieblingsplätze“ ändern. Auf den Ratsbeschluss der Hansestadt hin, erhielt das Team der Zukunftsstadt die Genehmigung, den zentralen Marienplatz umzugestalten, der sonst als Parkplatz dient. Ein Wettbewerb, an dem alle Interessierten teilnehmen konnten, lieferte die Ideen. Noch zwei Orte in der Salzstadt kamen auf Betreiben von Bürger:innen hinzu, der Vorplatz des Theaters und der Innenhof der Volkshochschule.
IDEE
Her mit den schönen Plätzen
Die Stadt muss neu gedacht werden. Nicht erst seit der Pandemie ist es den Bürgerinnen und Bürgern Lüneburgs ein Ansinnen, ihre Stadt wieder attraktiver für die Menschen zu machen, weg vom Konsumzwang. Grüne Oasen, die zum Verweilen einladen, ohne, dass dafür Geld ausgegeben werden muss. Der Einzelhandel geht zurück – was bleibt ist der Bürger und die Bürgerin, die sich die Stadt nachhaltig zurückholen möchten. Dies gelang mit Hilfe der Zukunftsstadt an drei Projekten, die recht unterschiedlich ausgeführt worden. Am bedeutendsten war die dreimonatige Umnutzung des Marienplatzes. Erstmals wurde in der Größenordnung in der Hansestadt eine Bürger*innebeteiligungsaktion ausgeführt, die nur einen Monat später bereits Früchte trug.
UMSETZUNG
Den Auftakt machten überraschenderweise Mitglieder des Ensembles vom Lüneburger Theater. Schauspielerin Beate Weidenhammer wandte sich an das Zukunftsstadt-Team und fragte, was geschehen müsse, um dem grauen Betonplatz vor dem Theater Leben einzuhauchen. Ergänzend dazu befragten Studierende im Frühjahr 2022 Passant:innen nach deren Ideen für einen schöneren Theatervorplatz. Es folgten schließlich handwerkliche Arbeiten, die zu neuen Sitzbänken am Haus selbst, Rollrasen und ganz viele Bäume und Pflanzen führten. Mitarbeitende räumten zahlreiche Stühle vor die Tür, so dass im Frühsommer 2022 die Kunst vor das Haus trat. Zahlreiche Zuschauer und Zuschauerinnen genossen Live-Auftritte von Theaterschaffenden und Musik-Macher:innen. Interessant war hier auch, inwieweit Teresa Kampfmann als beobachtende Wissenschaftlerin des Reallabors Zukunftsstadt, in die praktische Ausführung des Experiments innerhalb des Reallabors Lüneburg involviert war.
Der zentral gelegene Marienplatz hinter dem Lüneburger Rathaus blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Niemand ahnt, dass dort einmal eine beeindruckende Kirche stand oder ein Feuerwehrlöschteich zugänglich war, wenn er oder sie heute auf den platt betonierten Parkplatz schaut. Rechtlich abgesichert durch den Beschluss des Rates, wandelte Sara Reimann, gemeinsam mit zahlreichen Ehrenamtlichen, allen voran Susanne Puschmann und Stephan Seeger (Wohnprojekte-Kontor, Verein T.U.N.), den Platz unter starker Beteiligung der Lüneburger*innen um. Als Platz zur Erholung und für kulturelle Ereignisse wurde er Schauplatz der Ideen, die beim Ideenwettbewerb eingegangen waren. Die Umgestaltung begann im September 2022. Dem vorausgegangen war der Aufruf an alle Hansestädter*innen doch ihre Ideen für den Platz an das Büro abzugeben. Es kamen 30 Beiträge von Groß und Klein, Alt und Jung. Eine Fachjury, die sich aus Vertretenden der Zivilgesellschaft, der Verwaltung und der Universität zusammensetzte, wählte sechs Gewinner*innen-Beiträge aus.
Es galten die Bedingungen: zeitlich begrenzt, nachhaltig und nicht teurer in der Umsetzung als 2.000 Euro pro Idee. So fanden die verdutzten Lüneburger*innen dann eine Liegewiese auf dem Parkplatz, zahlreiche neue Sitzmöglichkeiten, eine Bühne und ein Beet mit regionalen Pflanzen vor. Die Stadtbevölkerung war dann aufgerufen, diesen Platz zu bespielen, die Bühne nach Belieben zu nutzen und sich ihren Stadtraum „zurückzuerobern“. Bis Oktober gab es Live-Konzerte, Diskussionsrunden oder Sprechstunden mit dem Klimaschutzteam der Hansestadt. Ein besonderes Highlight war die Kinder-Oper „Hänsel und Gretel“.
Weiterhin diente der Platz auch der Forschung hinsichtlich von Klimaanpassungsmaßnahmen. Es wurden Daten zu Temperaturanstieg erhoben, gleichwohl auch Maßnahmen ausprobiert, die Erhitzung von Betonflächen in der Stadt zu reduzieren.
Die Volkshochschule Lüneburg ist starke Kooperationspartnerin des Projektes Zukunftsstadt. Auf Betreiben der Volkshochschul-Mitarbeiter:innen gestalten Mitarbeitende der Zukunftsstadt auch den Innenhof dieses Gebäudes im Rahmen des Experiments Lieblingsplätze um. Sie schufen einen neuen Stadtraum, an dem die Ideen von Interessierten ausprobiert wurden. Anwohnende und Besuchende der Volkshochschule hinterließen ihre Gedanken auf Postkarten und fanden sie schließlich im Frühjahr 2023 in der Passage wieder. Workshop-Teilnehmer:innen legten zuvor das gemeinsame Konzept fest. Daran nahmen auch Stadtplaner:innen und eine Künstlerin teil.
Abschlusskonzert auf dem Marienplatz
ERGEBNIS
Die Verwaltungsspitze der Hansestadt hat beschlossen, den Marienplatz langfristig als Aufenthaltsort für Bürger*innen umzugestalten und den Parkplatz aufzugeben. Dieses Vorhaben ist Teil des Förderprogrammes „Resiliente Innenstadt“. Es soll in den nächsten Jahren umgesetzt werden, voraussichtlich 2024. Die Volkshochschule und auch das Theater werden die Erfahrungen für sich nutzen und haben angekündigt, ihre „Lieblingsplätze“ an ihren Häusern zu verstetigen.
Forschungsergebnisse
Seminar „Urbane Lieblingsplätze“ (Dozentin: Lina Bürgener, WiSe 2021/22)
Masterabeit Miriam Potyka, 2021/22 (siehe Grüne Backsteinstadt)
Bachelorarbeit Friederike Meyer, zum Marienplatz (2022)
Bachelorarbeit Annika Ziegler, zum Marienplatz (Frühjahr 2023)
Interview mit Anna Glindemann
Anna Glindemann befragte im Rahmen ihrer Masterarbeit Passant*innen, die sich auf dem umgestalteten Vorplatz des Lüneburger Theaters aufhielten. Dieser war im Frühjahr 2022 auf Initiative des Theaters hin und unter Einbindung von Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen der Leuphana Universität mit Hilfe von Bürger*innenideen umgestaltet worden. Er ist damit Bestandteil des Zukunftsstadt-Experimentes „Lieblingsplätze“, das sich die Schaffung konsumfreier Aufenthaltsorte in der Innenstadt auf die Fahnen schrieb. Anna beantwortet in diesem Interview, was sie aus ihren Forschungen rund um den Theatervorplatz gelernt hat.
Kurze Erholung auf dem Weg zur Arbeit
Wenn du eine Stadtverwaltung beraten müsstest, wie sehe dein Aktionsplan aus – also in fünf Schritten zu einem Lieblingsplatz?
Schritt 1: Aktive Einbindung von Menschen aus der Stadt oder der Gemeinde, um Ideen zu sammeln und die Verbindung zu dem Ort zu stärken. Danach sollte es mit der Gründung von Arbeitsgruppen direkt in die Umsetzung gehen.
Schritt 2: Jeder und Jede, die Entscheidungen zu dem Projekt fällt, sollte sich einmal an diesem Ort aufhalten und ihn in sich aufnehmen.
Schritt 3: Schauen, welche Grundlagen vorhanden sind, also vom Bestehenden ausgehen, mit Ideen ergänzen und diese ausprobieren.
Schritt 4: Bewerten der Ergänzungen und daraufhin ein Konzept zur Umsetzung erarbeiten.
Schritt 5: Umsetzen!
Warum ist die Einbindung von Bürger*innen in die Gestaltung neuer, konsumfreier, Aufenthaltsflächen in Innenstädten so wichtig?
Meiner Meinung nach ist die Beteiligung von Bürger*innen extrem wichtig, denn sie sind die Nutzer*innen und somit Expert*innen von öffentlichen Räumen. Sie entscheiden sich für oder gegen einen Aufenthalt in öffentlichen Räumen. Nur durch ihre Mitarbeit können Räume so gestaltet und erfahrbar werden, dass Bürger*innen sich mit dem Ort identifizieren und ihn sich zu eigen machen.
Warum hast du dich denn für unser Experiment „Lieblingsplätze“ entschieden? Was ist so spannend daran, wenn Bürger*innen einen Platz umgestalten können?
Ich konnte hier gut die qualitative Methode der teilnehmenden Beobachtung ausprobieren, das heißt ich wollte mit Menschen über einen Ort in Lüneburg ins Gespräch kommen.
Spannend finde ich nach wie vor, wie Menschen öffentliche Räume unterschiedlich wahrnehmen, worauf sie dabei achten und wie sie sich in diesen Räumen aufhalten oder wie sie sie nutzen. Das ist für die Umgestaltung von öffentlichen Räumen besonders wichtig, da das Gebaute letztlich den Rahmen für gelebte und wahrgenommene Räume bildet.
Welche Antworten der Befragten haben dich überrascht?
Positiv überrascht haben mich die Erzählungen von Befragten, die an dem Ort an besuchte Theaterveranstaltung zurückdachten oder an den Rosen rochen, um den stressigen Arbeitstag auf dem Heimweg hinter sich zu lassen. Erstaunlich fand ich, dass einige Befragte den Lärm der Straße als „normal“ ansahen und es so schien, als ob sie sich daran nicht störten. Bei einer Befragung waren Kind und Vater sich nicht ganz einig: der Vater sah auf dem Vorplatz keinen Grund sich dort aufzuhalten, wohingegen das Kind es als sehr grün, einladend und als „ein Teil der Natur und Landschaft, die die Menschen schaffen“ beschrieb.